Das schwerste bisher chemisch untersuchte Element – In Experimenten bei GSI/FAIR gelingt Bestimmung der Eigenschaften von Moscovium und Nihonium

05.11.2024

Einem internationalen Team unter der Leitung von Wissenschaftler*innen von GSI/FAIR in Darmstadt, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und dem Helmholtz-Institut Mainz, ist es gelungen, die chemischen Eigenschaften der künstlich hergestellten superschweren Elemente Moscovium und Nihonium (Elemente 115 und 113) zu bestimmen. Moscovium ist damit das schwerste jemals chemisch untersuchte Element. Beide neu charakterisierten Elemente sind chemisch reaktiver als das bereits in der Vergangenheit bei GSI/FAIR untersuchte Flerovium (Element 114). Die Ergebnisse sind im Fachjournal Frontiers in Chemistry veröffentlicht.

Dank dieser aktuellen Resultate liefern Experimente an GSI/FAIR nun Daten zu den drei superschweren Elementen 113, 114 und 115, was eine zuverlässige Klassifizierung ihrer Eigenschaften und der Struktur des Periodensystems in dieser extremen Region ermöglicht. Wenn Elemente schwerer werden, beschleunigen die vielen Protonen im Kern die um sie kreisenden Elektronen auf immer höhere Geschwindigkeiten – so hoch, dass Effekte auftreten, die nur mithilfe von Einsteins berühmter Relativitätstheorie zu erklären sind. Die reine Geschwindigkeit macht die Elektronen schwerer.

In Blei (Element 82) beispielsweise treten solche Effekte bereits zu Tage und tragen zu den chemischen Prozessen in Bleiakkumulatoren bei. Die linken und rechten Nachbarn – Thallium und Bismut – zeigen dieses Verhalten jedoch nicht. Der Effekt, wenngleich klein, ist bei Blei lokalisiert. Könnte ein superschweres Element eine Bleialternative sein? Wie wäre es mit dem schwereren Nachbarn unterhalb im Periodensystem, Flerovium, Element 114, das erst in den vergangenen 20 Jahren gefunden und chemisch untersucht wurde? Es verhält sich recht anders als Blei, geht schnell in den gasförmigen Zustand über und ist chemisch weniger reaktiv.

Um Antworten zu finden, mussten auch die beiden benachbarten Elemente 113 und 115 (Nihonium und Moscovium) untersucht werden. Während bereits über erste Hinweise auf die Chemie des Nihoniums berichtet wurde, war es bisher niemandem gelungen, die Chemie des Moscoviums zu untersuchen, bei dem das geeignetste Isotop nur etwa 20 Hundertstelsekunden existiert.

Dies ist der internationalen Kollaboration am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt (Deutschland) nun geglückt. Das Team konnte zeigen, dass die beiden Nachbarn Nihonium und Moscovium chemisch reaktiver sind als das dazwischenliegende Flerovium. Der in Blei beobachtete lokale Effekt tritt also auch in Flerovium auf, allerdings viel stärker, was angesichts der höheren Kernladung nicht verwundert.

Um dies zu zeigen, benötigten die Forschenden nur eine Handvoll Atome, aber zwei Monate kontinuierlicher Arbeit rund um die Uhr an der Schwerionenbeschleunigeranlage von GSI/FAIR. Um die superschweren Elemente herzustellen, bestrahlte das Team dünne Folien mit Americium-243 (Element 95), selbst ein künstliches Element, mit intensiven Ionenstrahlen aus Calcium-48 (Element 20). Ihre Fusion führte zu den Moscovium-288-Kernen (Element 115), welche innerhalb von Sekundenbruchteilen zu Nihonium-284 (Element 113) zerfielen.

Beide Elemente wurden mit Inertgas durch einen Detektorkanal mit einer dünnen Quarzoberfläche gespült. Die Detektoren registrieren den Zerfall der individuellen superschweren Atome und ermitteln so, ob sie eine chemische Verbindung mit dem Quarz eingehen, die stark genug ist, um die Atome dort festzuhalten, wo sie zuerst auf die Oberfläche treffen. Schwächere Bindung führt zu einem weiteren Transport mit dem Gas. So kann das im Detektorkanal registrierte Muster Informationen über die Stärke der chemischen Bindung und infolgedessen der chemischen Reaktivität des Elements liefern. Schwach reaktive Elemente können den Kanal sogar verlassen, um dann auf goldbeschichtete Detektoren zu treffen. Bindungen mit Gold sind im Allgemeinen stärker als mit Quarz, so dass sichergestellt wird, dass jedes erzeugte Atom auch wirklich festgehalten und detektiert wird.

„Dank eines neu entwickelten Aufbaus für chemische Separation und Detektion in Kombination mit dem elektromagnetischen Separator TASCA konnten unsere gaschromatografischen Untersuchungen zu reaktiveren chemischen Elementen wie Nihonium und Moscovium ausgeweitet werden“, erläutert Dr. Alexander Yakushev von GSI/FAIR, der Sprecher der internationalen Kollaboration. „Wir haben die Effizienz erhöht und die Zeit für die chemische Separation so weit reduziert, dass wir das sehr kurzlebige Moscovium-288 nachweisen konnten, und mit einer größeren Rate von zwei gemessenen Atomen pro Woche auch dessen Tochter Nihonium-284.“

Insgesamt wurden vier Moscovium-Atome registriert, alle im quarzbedeckten Detektorbereich. Auch die 14 gemessenen Nihonium-Atome wurden hauptsächlich im quarzbedeckten Bereich nachgewiesen, was die Bildung einer chemischen Bindung nahelegt. Ein Atom jedoch erreichte den goldbeschichteten Bereich, was vermuten lässt, dass die Quarzbindung nicht sehr stark ist. Dies steht im Kontrast zum Verhalten der Homologen Thallium (für Nihonium) und Bismut (für Moscovium), die beide starke Bindungen mit Quarz eingehen. Ebenso bildet Blei, das Homolog des Fleroviums, eine starke Verbindung mit Quarz, im Gegensatz zu Flerovium, das sich nicht mit Quarz verbindet.

Der vollständige Datensatz zeigt, dass die superschweren Elemente viel weniger reaktiv sind als ihre leichteren Homologe, was auf die Reaktionsträgheit im Zusammenhang mit dem Auftreten relativistischer Effekte zurückzuführen ist. Der ausgeprägteste Effekt ist lokal bei Flerovium zu beobachten, das zwar immer noch ein Metall ist, aber ein sehr schwach reagierendes – ein Verhalten, das auf das Vorhandensein geschlossener Elektronen(unter)schalen hinweist, fast wie bei den nicht reaktiven Edelgasen. Die Ergebnisse zeigen den Einfluss der Einstein‘schen Relativitätstheorie auf das Periodensystem und stellen gleichzeitig einen neuen Rekord für das schwerste jemals chemisch untersuchte Element auf.

Der technologische Fortschritt führt zu neuen Anforderungen an Werkstoffe. Könnten die neuen Elemente einen Beitrag leisten? Ähnlich der Transformation von Autoantrieben von fossil auf elektrisch werden weitere Gegenstände des täglichen Lebens durch neue Technologien ersetzt, die auf neuartigen Materialien basieren. Das erste Flerovium-basierte Gerät ist jedoch noch nicht in Sicht. Aktuell können einzelne Atome pro Woche, die für weniger als eine Sekunde existieren, hergestellt werden. Dies mag sich mit technologischem Fortschritt ändern; größere Mengen neuer Elemente könnten verfügbar werden. Ob sie in zukünftigen Batterien, als medizinische Wirkstoffe oder auf anderen, noch unvorstellbaren Wegen unser Leben bereichern können, wissen wir noch nicht. Aber dank der bahnbrechenden Experimente in Darmstadt haben zukünftige Forschende eine gute Ausgangslage und wissen bereits, welchen chemischen Charakter die neuen Materialien aufweisen. Das Ergebnis eröffnet auch neue Perspektiven für die internationale Anlage FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research), die derzeit in Darmstadt gebaut wird. (CP)

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