Weltweit renommierte Wissenschaftler beginnen langfristige Forschungsaufenthalte bei GSI/FAIR: Professor Volker Koch, Professor Nu Xu und Professor Takaharu Otsuka
13.09.2023 |
Drei weltweit renommierte Wissenschaftler, darunter zwei Humboldt-Preisträger, verbringen derzeit langfristige Forschungsaufenthalte bei GSI und FAIR und den Partnerhochschulen in Darmstadt und Frankfurt. Sie werten aktuelle Experimentdaten aus und bereiten in fruchtbarer übergreifender Zusammenarbeit die ersten wissenschaftlichen Experimente an FAIR vor.
Professor Volker Koch und Professor Nu Xu kommen beide vom Lawrence Berkeley Laboratory. Volker Koch hat die Professur für theoretische Schwerionenphysik inne und war Leiter der Kernphysikabteilung des Labors. Nu Xu ist Professor für experimentelle Schwerionenphysik und ehemaliger Sprecher von STAR, einem Vorzeigeexperiment am Relativistic Heavy-Ion Collider (RHIC) am Brookhaven National Laboratory. Professor Takaharu Otsuka hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für theoretische Kernphysik an der Universität Tokio inne. Taka Otsuka und Nu Xu sind beide Träger von Humboldt-Forschungspreisen, während Volker Koch derzeit EMMI-Gastprofessor ist.
GSI/FAIR nutzte die einmalige Gelegenheit, mit den Kollegen in einem Interview über die Motivation zu sprechen, warum sie GSI für ihren Langzeitaufenthalt gewählt haben und was sie persönlich an den vielen wissenschaftlichen Möglichkeiten bei FAIR fasziniert. Trotz ganz unterschiedlicher Blickwinkel und verschiedener wissenschaftlicher Erwartungen im Hinblick auf die FAIR-Forschungssäulen eint die drei Wissenschaftler eines: die Vorfreude auf herausragende Forschungsperspektiven und auf entscheidende Erkenntnisfortschritte in einer einmaligen Hochleistungsumgebung. Das ganze Interview ist hier zu lesen:
Sie alle drei sind weltweit führende Wissenschaftler und kommen von renommierten Einrichtungen. Warum haben Sie GSI für Ihre Forschungsaufenthalte gewählt?
Volker Koch: Die Rhein-Main-Neckar-Region ist das Gravitätszentrum der Nuklearwissenschaft, insbesondere in meinem Interessengebiet, das sich auf die Eigenschaften der starken Kraft an der Grenze zwischen hoher Dichte und hoher Energie konzentriert, wie sie in Schwerionenkollisionen erforscht werden kann. Es gibt zum Beispiel das HADES-Experiment, das in seinen letzten Messzeiten im Rahmen des FAIR-Phase-0-Programms aufregende Daten gesammelt hat, die wir jetzt zu verstehen versuchen. Es ist von großem Vorteil, viele Experten auf dem Campus und an den benachbarten Universitäten zu haben, mit denen wir diese Daten aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten können. In der Tat habe ich während der Pandemie eine so anregende wissenschaftliche Atmosphäre vermisst und genieße die täglichen Diskussionen, die hier stattfinden. Natürlich diskutieren wir auch über die zukünftigen Möglichkeiten, insbesondere über das CBM-Experiment bei FAIR, von dem wir uns Antworten auf einige der grundlegenden Fragen in unserem Forschungsbereich erhoffen.
Nu Xu: Das Phasendiagramm der Quantenchromodynamik, das die Eigenschaften der starken Kraft als Funktion der Temperatur und der Dichte beschreibt, wirft in der Tat immer noch mehrere offene grundlegende Fragen auf. Ich war maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung von Experimenten der STAR-Kollaboration beteiligt, bei denen wir versucht haben zu erforschen, ob dieses Phasendiagramm einen kritischen Punkt aufweist, wie wir ihn aus dem Phasendiagramm von Wasser kennen. Leider hat das STAR-Experiment eine Lücke in den Daten hinterlassen, die zur Beantwortung dieser Frage benötigt wird. Der Ort, von dem wir die Antwort erwarten, ist das CBM-Experiment bei FAIR. Um dieses einzigartige und wissenschaftlich äußerst wichtige Experiment vorzubereiten, bin ich hier.
Takaharu Otsuka: Mein wissenschaftliches Interesse unterscheidet sich etwas von dem meiner Kollegen, da ich versuche, Modelle zu entwickeln, die die vielen Facetten der Kernstruktur beschreiben. Die Grenze sind hier exotische instabile Kerne, die zum Beispiel eine große Anzahl zusätzlicher Neutronen im Vergleich zu ihren stabilen Gegenstücken haben. Diese Kerne und ihre Eigenschaften sind jedoch entscheidend, wenn wir ein allgemeines Modell entwickeln wollen, das die vielen Phänomene beschreibt, die das nukleare Vielteilchensystem aufweist. So haben wir in den letzten Jahren herausgefunden, dass sich magische Kernzahlen, die ein Eckpfeiler der Kernstruktur sind und für deren Erklärung ein Nobelpreis verliehen wurde, in exotischen Kernen von denen in stabilen Kernen unterscheiden. Wir konnten kürzlich zeigen, dass unter anderem die Tensorkraft bei diesen exotischen Kernen eine entscheidende Rolle spielt. In meiner Laufbahn habe ich sehr von dem engen Kontakt zu Experimentatoren profitiert, die vor einigen Jahren meine Kollegen am RIKEN waren. Ich denke, dass die NUSTAR-Experimente bei FAIR in Zukunft eine führende Rolle beim Verständnis vieler Aspekte der Struktur exotischer Kerne spielen werden, über die gegenwärtige Forschung hinaus. Insbesondere interessiere ich mich für die Physik, die die Grenze der Existenz in sehr neutronenreichen Kernen bestimmt, wo FAIR völlig neue Perspektiven eröffnet. Daher freue ich mich, die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen aus Theorie und Experiment in Darmstadt zu intensivieren. Ich hoffe, dass beide Seiten von diesen Aktivitäten profitieren werden.
Professor Xu, Sie haben das STAR-Experiment am RHIC erwähnt, das ein Beispiel dafür ist, dass es auch andere Anlagen weltweit gibt, an denen Wissenschaft betrieben wird, die bei FAIR im Mittelpunkt stehen wird. Professor Otsuka, Sie haben die japanische Vorzeigeeinrichtung RIKEN erwähnt. Vielleicht können Sie erläutern, wo Sie die Vorteile von FAIR und vielleicht seine Einzigartigkeit sehen?
NX: Die Arbeiten in Brookhaven sind abgeschlossen und lassen wichtige Fragen unbeantwortet. Meiner Meinung nach ist CBM in der Lage, diese zu beantworten. Wenn es andere Einrichtungen gäbe, die fortgeschrittener wären als CBM, hätte ich mich diesen Aktivitäten angeschlossen. Aber es gibt keine. Wenn FAIR SIS100-Strahlen liefern kann, wird die CBM-Kollaboration für die Datenaufnahme bereit sein. Und das CBM-Experiment hat die Fähigkeit hohe Datenraten aufzunehmen, um herauszufinden, ob ein kritischer Punkt im QCD-Phasendiagramm existiert oder nicht.
VK: In der Tat, zur Beantwortung dieser grundlegenden wissenschaftlichen Frage ist Statistik das A und O, und CBM ist in der Lage, die erforderliche Menge an Daten zu liefern. Damit lässt sich weit mehr als die Existenz des kritischen Punktes nachweisen. Beispielsweise kann man die Symmetrieenergie auch bei Dichten erforschen, die doppelt oder sogar dreifach so hoch sind wie die Sättigungsdichte, wie sie in schweren Kernen wie Blei existiert. Solch hohe Dichten sind in vielen astrophysikalischen Umgebungen von entscheidender Bedeutung, etwa bei Kernkollaps-Supernovae oder Neutronensternverschmelzungen. Die CBM-Daten werden auch sehr wertvolle Anhaltspunkte für die nukleare Zustandsgleichung liefern, die die Struktur von Neutronensternen bestimmt, den kompaktesten Objekten, die man im Universum direkt untersuchen kann. In der Tat gibt es in der Astrophysik so viele aufkommende Aktivitäten, die die Ära der Multi-Messenger-Erforschung des Universums ermöglicht, die alle eng mit der Wissenschaft verbunden sind, die bei FAIR – oft zum ersten Mal – erforscht werden. Während meines Aufenthalts in Darmstadt haben meine Kollegen und ich mehrere neue Ideen entwickelt, wie sich diese beiden Forschungsrichtungen optimal gegenseitig ergänzen. Ich freue mich sehr darauf, dass FAIR in Betrieb genommen wird und die CBM- und NUSTAR-Experimente beginnen. Das wird ein ‚new game in town‘ sein, wie wir in Kalifornien sagen.
TO: Die FAIR-Anlage bietet wesentlich höhere Beschussenergien als die anderen Anlagen. Dies ermöglicht die Erforschung von Massenbereichen der Nuklidkarte, die mit anderen Beschleunigern nicht so leicht zugänglich sind, wodurch sich die globalen Aktivitäten in vielerlei Hinsicht komplettieren. Dies eröffnet spannende Perspektiven für mein Forschungsinteresse. Es ist sehr aufregend, dass FAIR bald zum Beispiel erste Daten über die sehr neutronenreichen Kerne liefern wird, die den dritten Peak im astrophysikalischen r-Prozess bilden, der oft als ‚Gold Peak‘ bezeichnet wird. Wir haben die Halbwertszeiten für die Kerne im Gold Peak vorhergesagt, und es wird interessant sein zu sehen, ob wir damit richtig liegen. Lassen Sie mich einen weiteren wichtigen Punkt hervorheben. Auch viele Aktivitäten bei FAIR sind, obwohl sie auf globaler Ebene einzigartig sind, sehr komplementär. Nehmen Sie die Symmetrieenergie, die meine Kollegen Volker Koch und Nu Xu bei sehr hohen Dichten untersuchen wollen. Auch für astrophysikalische Anwendungen ist es wichtig, sie bei Dichten an und unterhalb der Sättigung zu kennen. Dieses Verhalten kann mit dem R3B-Experiment im Rahmen der NUSTAR-Kollaboration untersucht werden.
In Ihren Heimatländern gibt es sehr intensive Aktivitäten in der Schwerionen- und Kernstrukturforschung. Welche Rolle spielt FAIR für diese Gemeinschaften?
VK: Die US-amerikanische Kernphysik-Gemeinschaft bereitet derzeit ihren Longrange-Plan vor, der sich auch mit den künftigen Möglichkeiten der Forschung an hochdichter Kernmaterie befasst, das heißt mit den Eigenschaften des QCD-Phasendiagramms bei hohen Dichten, wie es bei FAIR erforscht werden soll. Ich bin nicht persönlich in das Autorenteam involviert, aber ich weiß, dass das intellektuelle Interesse meiner Theoriekollegen auf diesem Gebiet enorm ist. Persönlich bin ich auch davon überzeugt, dass die amerikanische Beteiligung an CBM zunehmen wird.
NX: Ich teile die Ansicht meines Kollegen Volker Koch bezüglich des Interesses in den USA. Aber ich möchte hinzufügen, dass auch in meinem Heimatland China ein sehr großes Interesse an der CBM-Physik besteht, das von sechs Institutionen getragen wird, darunter viele Postdocs und Doktoranden. Die chinesischen Kollegen waren am STAR-Experiment am RHIC beteiligt und bringen ihr Fachwissen nun in CBM ein. Um das chinesische Interesse zu unterstreichen, wurden Komponenten des Flugzeitdetektorsystems für CBM in China gebaut. Sie sind getestet und bereit, bei FAIR eingesetzt zu werden. Wir brauchen einen SIS100-Strahl.
TO: Zwischen den japanischen und den GSI-Aktivitäten auf dem Gebiet der Kernstruktur, aber auch auf anderen FAIR-Forschungsgebieten wie der Atom- oder Biophysik, besteht eine starke Zusammenarbeit. Einige von der NUSTAR-Kollaboration entwickelte FAIR-Detektoren wurden bereits in Experimenten am RIKEN getestet und eingesetzt. Der Austausch erfolgt jedoch in beide Richtungen. Ein interessantes Forschungsgebiet bei FAIR werden Hyperkerne sein, das heißt reguläre Kerne, denen ein Lambda-Teilchen, das ein Strange-Quark enthält, hinzugefügt wird. Japan hat eine lange Geschichte in der Hyperkernforschung. Aber jetzt bringen wir Aktivitäten in FAIR ein, die auf einer von RIKEN und GSI/FAIR unterzeichneten Absichtserklärung beruhen, in der wir gemeinsam die Forschung an neutronenreichen Hyperkernen aufnehmen. FAIR stellt den SIS100-Beschleuniger und den Super FRS zur Verfügung, die Anlagen zur Herstellung solcher wirklich exotischen Kerne, und RIKEN entwickelt und baut einen neuartigen Detektor, mit dem diese Hyperkerne untersucht werden können. RIKEN hat in der Tat sehr positive Erfahrungen mit solchen Kooperationen im Ausland gemacht, zum Beispiel mit einem speziellen Hadronenphysik-Programm in Brookhaven. Ich bin sicher, dass auch das RIKEN-FAIR-Projekt ein Erfolg sein wird.
Welches ist das wissenschaftliche Highlight, das Sie sich persönlich von FAIR wünschen?
NX: Durch seine hohen Datenraten und Fähigkeit andere unterschiedliche Messwerte aufzunehmen, wird CBM die Frage beantworten, ob ein kritischer Punkt im QCD-Phasendiagramm existiert oder nicht. CBM wird auch die nukleare Zustandsgleichung soweit bestimmen können, dass sie einen sehr starken Einfluss auf das Verständnis astrophysikalischer Objekte wie Neutronensterne oder Supernovae hat. Ich möchte hinzufügen, dass sich die Hochenergieprogramme am CERN auf die Eigenschaften des Quark-Gluon-Plasmas konzentrieren – die Form der Materie, wie sie in der sehr frühen Phase des Universums existierte, während wir uns hier auf die Eigenschaften der Materie bei hohen Dichten konzentrieren. Wenn CERN die Hochenergiegrenze darstellt, ist FAIR die Hochdichtegrenze. Beide Programme ergänzen sich gegenseitig und sind für das Verständnis des QCD-Phasendiagramms notwendig.
VK: Der kritische Punkt und die Zustandsgleichung stehen sicherlich auch ganz oben auf meiner Liste. Aber CBM kann noch mehr, vielleicht sogar Fragen beantworten, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Jüngste Gitter-QCD-Berechnungen sagen zum Beispiel voraus, dass die Wechselwirkung zwischen zwei Omega-Baryonen anziehend ist. CBM mit seiner sehr hohen Datenrate ist wahrscheinlich das einzige Experiment, das diese Vorhersage überprüfen kann.
TO: Generell erwarte ich von den NUSTAR-Experimenten bei FAIR entscheidende Fortschritte bei unserem allgemeinen Verständnis des Kerns als Vielteilchensystem, und zwar bereits von den Experimenten der Phase 0 und dann noch mehr, sobald FAIR in Betrieb ist. Es wäre sehr aufregend, die Grenzen der nuklearen Existenz als Funktion des Neutronenüberschusses zu verstehen, aber auch im Bereich der überschweren Kerne, abgeleitet von den Nukleonen als den fundamentalen Bausteinen und den zwischen ihnen wirkenden starken Kräften und Coulomb-Kräften. Ich persönlich würde aber auch gerne erforschen, ob Hyperkerne ein Werkzeug sein könnten, um die Entstehung von Kernformen zu untersuchen. Es gibt einige Hinweise, die in letzter Zeit aufgetaucht sind, dass Kerne ein breiteres Spektrum an geometrischen Formen haben könnten als gewöhnlich angenommen.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in Darmstadt und viele weitere fruchtbare Aufenthalte bei GSI und später bei FAIR. (GSI)